Stammdaten

Titel: "Wer hat dich, du [deutscher] Wald...?" Robert Musils Dekonstruktion eines Mythos im (literatur-)geschichtlichen Kontext
Beschreibung:

Robert Musils (1880-1942) erstmals 1927 im Berliner Tageblatt veröffentlichter Kurztext Wer hat dich, du schöner [grüner] Wald…? (GA 11, S. 217–223) der ursprünglich umfangreicher angelegt war und den der Autor bei Lesungen mehrmals öffentlich vortrug, bevor er ihn für den Nachlaß zu Lebzeiten (1936 [recte: 1935]; GA 8, S. 485–491) nochmals überarbeitete (ein Reflex davon findet sich außerdem in Kap. I.67 des MoE), ist in der bisherigen Forschung in erster Linie im Zusammenhang mit dieser seiner Sekundärpublikation rezipiert und interpretiert worden, d.h. vor dem Hintergrund der Stellung, die er im Rahmen der zweiten von drei Abteilungen, „Unfreundliche Betrachtungen“ genannt, dieses letzten von Musil zu Lebzeiten veröffentlichten Buches einnimmt. In dieser Perspektive, die den gegenüber den „Bildern“ der vorhergegangenen ersten Abteilung vergleichsweise deutlicher ausgeprägten reflexiven Charakter der darin versammelten Texte prononciert, in denen die narrative Dimension hinter die durchwegs ironische, teils ins Satirische kippende Darstellung zurücktritt, kommt vor allem in den Blick, dass sich Musil in diesem Text mit typisch „romantischen“ Themen wie Sentimentalität und Nostalgie, ja Kitsch einerseits sowie mit dem Umstand, dass derlei Oberflächlichkeiten häufig lediglich dazu dienen, massive Interessen ganz anderer, nämlich wirtschaftlicher Natur zu verschleiern, andererseits kritisch auseinandersetzt. Dabei ist der Literaturwissenschaft auch nicht verborgen geblieben, dass diese konstruktiv-ironische Kritik am Mythos Wald und daran, wofür dieser zumal in der deutschen Kultur steht, bei aller satirischen Schärfe nicht nur dessen aufklärerische Entlarvung bezweckt, sondern zugleich eine durchaus verständnisvolle Grundierung aufweist, insofern die nämliche Sentimentalität in Form einer „Sehnsucht nach dieser Sehnsucht“ (GA 11, S. 223) – einer Sehnsucht zweiter Ordnung gleichsam – nach dem Urwüchsigen in Gestalt des Waldes zweifellos ernstgenommen wird.

Ich rücke im Anschluss an diese Einsichten einen weiteren Aspekt in den Vordergrund der Aufmerksamkeit , der sich eher im Ausgang von einer isolierten Lektüre des Textes außerhalb des ihm später durch die Aufnahme in den Nachlaß zu Lebzeiten zugewachsenen Rahmens erschließt (welcher z. B. das aufschlussreiche Zitat oben aus der Zeitungsversion zum Opfer fiel): Dort geraten nämlich die dem titelgebenden romantischen Liedtext zugeschriebenen „Reflexbewegungen des deutschen Volkskörpers“ (GA 8, S. 485; GA 11, S. 217) in vergleichsweise unmittelbare(re) Nähe zu jenem „Abend einer tausendjährigen Schlacht“ (GA 8, S. 488; GA 11, S. 219), als deren menschlicher Betrachtung nur trügerisch sich als ,Standbild‘ präsentierendes Produkt der vermeintlich so ruhige, friedliche und kühle Wald in seiner (natur-)geschichtlichen Wirklichkeit zu gelten hat. Denn: „Es gibt eine Baumwanderung, wie es eine Völkerwanderung gibt“ (ebd.), was der wenig darauf getroffenen Feststellung: „Ein deutscher Wald ist seiner Pflicht bewußt“ (GA 8, S. 489; GA 11, S. 220) jenen in historisch-politischer Hinsicht unangenehm berührenden Beigeschmack verleiht, dem ich auf der Grundlage einer Relektüre dieser meisterlichen Prosavignette Musils sowie durch deren Kontextualisierung mit anderen literarischen Beispielen, in denen der Wald als aktives Element, um nicht zu sagen als tätiges Subjekt erscheint (von Stifter bis Tolkien), nachgehe.

Schlagworte: Robert Musil; Wald; Mythos; Interkontextualität; Deutschland; Nationalismus
Typ: Vortrag auf Einladung
Homepage: https://www.eventbrite.co.uk/e/der-deutsche-wald-kulturgeschichte-mythologie-okologie-tickets-181876446347
Veranstaltung: Der Deutsche Wald. Kulturgeschichte, Mythologie, Ökologie (Galway)
Datum: 16.10.2021
Vortragsstatus: stattgefunden (online)

Zuordnung

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Fakultät für Kultur- und Bildungswissenschaften
 
Robert Musil-Institut für Literaturforschung - Kärntner Literaturarchiv
Bahnhofstraße 50
9020 Klagenfurt am Wörthersee
Österreich
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   musil@aau.at
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zur Organisation
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Kategorisierung

Sachgebiete
  • 603113 - Philosophie
  • 602014 - Germanistik
  • 603101 - Ästhetik
Forschungscluster Kein Forschungscluster ausgewählt
Vortragsfokus
  • Science to Science (Qualitätsindikator: n.a.)
Klassifikationsraster der zugeordneten Organisationseinheiten:
TeilnehmerInnenkreis
  • Überwiegend international
Publiziert?
  • Nein
Keynote-Speaker
  • Nein
Arbeitsgruppen Keine Arbeitsgruppe ausgewählt

Kooperationen

Keine Partnerorganisation ausgewählt