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Titel: Die Poetik des responsiven Wandels in Chimamanda Ngozi Adichies "Blauer Hibiskus"
Untertitel:
Kurzfassung:

Die Lektüre des Romans Blauer Hibiskus erzählt von der Bewusstwerdung des 15jährigen Mädchens Kambili, die ihren Vater als gesellschaftlichen Wohltäter und Hüter der freien Meinungsäußerung ebenso kennt wie als gewalttätigen Pater Familias. Ihre Mutter kennt sie als eine Frau, die ihre Kinder beschützt und ihnen Liebe zuteilwerden lässt, aber auch als jenen Menschen, der den Vater zuschlagen lässt und mithilft, dessen Taten vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Sie kennt die Religion, die ihren Vorfahren einst aufgezwungen worden war, als Quelle der Restriktionen, die ihr Leben bestimmen und als ein halt- und sinngebendes Konstrukt, an das sie gebunden bleiben möchte. Die Protagonistin in Adichies Roman wird den Leser_innen dieses „Bildungsromans“ in einem sehr neuen und anderen Sinne, als wir diesen Begriff im deutschsprachigen Raum zu kennen meinen, als eine Figur nähergebracht, die sich, in und mit diesen Widersprüchen lebend, weder „auf dem Holzweg“ befindet, noch zum Schluss eine erlösende Wahrheit entdeckt. Adichie entwickelt sie vielmehr als eine Figur, die sich den Geschehnissen gegenüber „antwortend“, also im phänomenologischen Sinne responsiv, verhält.

Die Ich-Erzählung setzt ein, als in der Welt der Protagonistin im wörtlichen wie im übertragenen Sinne alles beginnt, „in die Brüche zu gehen“, wobei diese Zäsur bei der kindhaft-jugendlichen Protagonistin auch ein intensives Wahrnehmen in Gang kommen lässt. Dieses verbindet Kambili intensiv mit der sie umgebenden Natur, den theologischen Ritualen, die ihren Alltag bestimmen und schließlich zu Metaphern ihres Lebens werden und den Menschen um sie herum, die seltsam verfremdet erscheinen und gerade dadurch Substanz gewinnen. Durch den Besuch bei einer Tante, die als Wissenschaftlerin an der University of Nigeria arbeitet und ihre beiden Kinder alleine großzieht, kommt es schließlich zu einer intimen Nähe zum „Leben der Anderen“, die es Kambili zum ersten Mal erlaubt, das Eigene aus der Fremde und damit als etwas Fremdes zu betrachten. Die Handlungen und Alltagsroutinen im Haus der Tante bilden eine Differenz zu allem, was die Protagonistin bisher kannte und gewohnt war, wobei sich das zunächst als eine massive Veränderung in ihrer leiblich-sinnlichen Erfahrung darstellt. Das Zuhause, das völlig anders aussieht und sich anfühlt wie das ihre und auch die Pflanzen und Tiere scheinen hier, nur wenige Fahrstunden vom Elternhaus entfernt, grundlegend „anders“, zumindest anders erfahrbar zu sein. Die kulturell differente Erfahrung entspricht dabei einer intrakulturellen Differenz, denn die Tante, die für Kambili (auch) das Paradigma eines anderen Lebens darstellt, ist die Schwester des restriktiven Vaters und somit symbolisch mit diesem eng verbunden. An einer aufklärerischen Intervention der Nichte gegenüber ist weder ihr noch ihren Kindern gelegen, und somit ist alles, was sich hier an „Fremdem“ zu sehen und zu hören gibt, zunächst Sache einer unmittelbaren Erfahrung, die erst nach und nach auch das abstrakte Denken verwandelt. Die junge Protagonistin nimmt diese alternative Lebensweise also in vielerlei Hinsicht als ein Widerfahrnis wahr, das, ebenso wie das Bekannte, seine Abgründe und seine eigene Brutalität besitzt, dem gegenüber sie sich aber dennoch antwortend öffnet.

Der geplante Beitrag möchte, in theoretischer Anlehnung an die Theorien Bernhard Waldenfels‘, Emmanuel Lévinas‘ und Hannah Arendts, eine Lesart des Textes versuchen, in der die Wahrnehmung des jungen Mädchens, wie sie in diesem Roman beschrieben wird, in ihrer Responsivität betrachtet wird. Außerdem soll auch die Idee leitend für die daran anschließenden Überlegungen sein, dass die responsive Haltung, die sich in dieser Erzählung ausdrückt, von den Leser_innen auf ihre Art der Lektüre übertragen werden kann. Form des Buches und (didaktische) Form der Lektüre würden somit einander im Idealfall entsprechen und eine neue Perspektive nicht nur auf diesen Text, sondern auf das „Möglichkeitsdenken“, in das uns die Literatur mitnimmt, eröffnen. Eines der Ziele, die ich mit diesem Beitrag verbinde, ist es auch, der deutschsprachigen Leser_innenschaft Einblicke in jene Zugangsweisen und Interpretationsansätze zu geben, die zu diesem Roman im englischsprachigen Raum entwickelt wurden. Die anglophone Literaturwissenschaft in dieser Hinsicht schon recht weit fortgeschritten, während dieser Roman im deutschsprachigen Raum bisher generell wenig und als Schullektüre nur in Ausnahmefällen wahrgenommen wurde.

Schlagworte:
Publikationstyp: Beitrag in Sammelwerk (Autorenschaft)
Erscheinungsdatum: 01.07.2023 (Print)
Erschienen in: Interkulturelle Konstellationen in Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik
Interkulturelle Konstellationen in Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik
zur Publikation
 ( Verlag Königshausen & Neumann; I. Böker, S. Schulte Eickholt )
Titel der Serie: -
Bandnummer: -
Erstveröffentlichung: Ja
Seite: S. 499 - 514

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Keine Version vorhanden
Erscheinungsdatum: 01.07.2023
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  • 978-3-8260-7919-1
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Sachgebiete
  • 602003 - Allgemeine Literaturwissenschaft
  • 503011 - Fachdidaktik Geisteswissenschaften
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Peer Reviewed
  • Nein
Publikationsfokus
  • Science to Science (Qualitätsindikator: n.a.)
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